Viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer wissen, dass bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) eine Kündigung durch den Arbeitgeber nur eingeschränkt möglich ist. Oft scheitert die Kündigung daran, dass der Arbeitgeber nicht die richtige „Sozialauswahl“ trifft.
In Betrieben mit weniger als 10 Arbeitnehmern („Kleinbetrieb“) ist das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar, die Regelungen zur Sozialauswahl in § 1 KSchG gilt nicht.
Eigentlich könnte der Arbeitgeber dann unter mehreren Mitarbeitern frei wählen, wem er kündigt, wenn er die Belegschaft reduzieren muss.
So einfach ist es aber nicht, wie eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgericht (BAG) zeigt:
In einer Leipziger Gemeinschaftspraxis waren fünf Arbeitnehmer(innen) tätig. Die Arbeitgeber kündigten der Ältesten im Team und teilten in der Kündigung mit, sie sei ja „inzwischen pensionsberechtigt“. Ob dies, wie Arbeitgeber vortrugen, „gut gemeint“ war, konnte bzw. musste nicht geklärt werden. Wie Kurt Tucholsky sagte, „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“.
Auch wenn die Vorinstanzen noch die Klagen der Arbeitgeberin abgewiesen hatten, hat das BAG nun der Arbeitnehmerin recht gegeben. Der Hinweis in der Kündigung lege eine Benachteiligung der Arbeitnehmerin wegen des Lebensalters nahe. Dies wäre ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Diese Vermutung habe die Arbeitgeberseite nicht widerlegt. Die Kündigung ist daher wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot unwirksam.
Möglicherweise steht der Arbeitnehmerin außerdem ein Anspruch auf Entschädigung zu. Dies wird jedoch das Landesarbeitsgericht in Chemnitz im weiteren Verfahren (nochmals) zu prüfen haben.
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass auch in Kleinbetrieben eine Kündigung unwirksam sein kann, wenn die Umstände eine Benachteiligung wegen des Lebensalters nahelegen und der Arbeitgeber dies nicht widerlegen kann.
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Ulrike Münzner, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht
Den Text der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.07.2015 zu Altersdiskriminierender Kündigung (auch) im Kleinbetrieb finden Sie nachfolgend:
Altersdiskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb
Ist bei einer Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin aufgrund von ihr vorgetragener Indizien eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters nach § 22 AGG* zu vermuten und gelingt es dem Arbeitgeber nicht, diese Vermutung zu widerlegen, ist die Kündigung auch im Kleinbetrieb unwirksam.
Die am 20. Januar 1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Gemeinschaftspraxis seit dem 16. Dezember 1991 als Arzthelferin beschäftigt. In der Praxis waren im Jahr 2013 noch vier jüngere Arbeitnehmerinnen tätig. Die Klägerin war zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Die Gesellschafter der Beklagten kündigten ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Mai 2013 zum 31. Dezember 2013 wegen Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Dabei führten sie an, die Klägerin sei „inzwischen pensionsberechtigt“. Den anderen Beschäftigten wurde nicht gekündigt. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Das Kündigungsschreiben lasse eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten. Nach Darstellung der Beklagten sollte die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert werden. Die Kündigung sei wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Kündigung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG** und ist deshalb unwirksam. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Beweis dafür angeboten, dass die wegen der Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ zu vermutende Altersdiskriminierung nicht vorliegt. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zusteht, kann noch nicht festgestellt werden. Die Sache wurde insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 23. Juli 2015 – 6 AZR 457/14 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 9. Mai 2014 – 3 Sa 695/13 –
Quelle Pressemitteilung des Bundesarbeitsgericht Nr. 37/15 vom 23.07.2015
*) § 22 AGG Beweislast
Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
**) § 7 AGG Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.